Was ist Tierpsychologie?

Warum interessieren wir uns für Tiere? Weil sie uns so fremd sind? Weil wir Vertrautes in ihnen vermuten? Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier und Tier und Mensch ist sehr ambivalent. Die Gefühle von Menschen zu Tieren decken das gesamte emotionale Spektrum ab: kalte Ignoranz an einem Ende der Skala, abgöttische Liebe am anderen. In unserer Gesellschaft sind wir zunehmend dafür sensibilisiert, Tiere als Mitgeschöpfe zu respektieren, als Individuen, die mit uns kommunizieren.

Oft genug entsteht dabei das Gefühl, sie würden uns spiegeln, wie ein Baby, das seine Mitmenschen spiegelt, um ihre Emotionen verstehen zu lernen. Wir haben begonnen, Tiere in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren, ohne sie deswegen für minderwertige Mangelwesen zu halten. Der Weg dorthin war lang. Und er ist noch lange nicht zu Ende...

Die Definition der Tierpsychologie

Bisher wurde unter Tierpsychologie in der Wissenschaft in erster Linie der Fachbereich der Ethologie verstanden. Ziel war es, das Instinktverhalten - später das gesamte Verhaltensrepertoire - der einzelnen Tierarten zu untersuchen, zu verstehen und daraus Rückschlüsse über den biologischen Sinn der jeweiligen Verhaltensweise zu ziehen.

 

Die Basis der heutigen Tierpsychologie ist immer noch die gleiche. Ohne ein solides ethologisches Wissen, ohne das Verständnis für die zu Grunde liegenden Mechanismen und genetischen Strukturen ist keinerlei sinnvolle Verhaltensanalyse geschweige denn Verhaltenstherapie möglich. Um in diesen Bereichen jedoch wirklich nachhaltig wirksam sein zu können, reicht es nicht aus, die Entwicklungsgeschichte und das Normalverhalten der Tierarten zu kennen. Die rasante Weiterentwicklung der Forschung im Bereich der Emotionen, der Kognition und der Befindlichkeiten der Tiere erlaubt uns heute einen ganz anderen Zugang zu den Persönlichkeiten und den daraus resultierenden Verhaltensweisen der Tiere. Was jedem Tierhalter längst klar war, ist heute wissenschaftlich fundiert belegbar: Tiere fühlen, haben hoch individuelle Befindlichkeiten und Charakterzüge, die zu sehr unterschiedlichen Anpassungsleistungen und Lösungsstrategien im Alltag führen.

 

Psychologie ist eine Wissenschaft vom Erleben und Verhalten und selbst wenn in der Tierpsychologie der Schwerpunkt eher auf Verhalten liegt, unterscheiden sich beide als empirische Wissenschaften nicht grundsätzlich voneinander.

 

Bei dem Begriff "Erleben" handelt es sich tatsächlich um ein subjektives Phänomen, das für Außenstehende unzugänglich ist. Wissenschaftliche Beobachtungen und Untersuchungen des tierischen Verhaltens erlauben aber indirekt auch, Analogschlüsse zum Erleben zu ziehen. Physiologische Parameter, labormedizinische Untersuchungen sowie Medizintechnik oder Experimente der Pharmakologie objektivieren das Verhalten und schaffen eine Brücke zwischen Erleben und Verhalten, sodass auch Emotionen und Motivationen bei Tieren bestimmt werden können.

 

Im Gegensatz zum subjektiven Erleben ist das Verhalten von Tieren objektiv vom Beobachter wahrnehmbar und lässt sich gut beschreiben und messen. Genau hier liegt der Schwerpunkt der Tierpsychologie.

Tierpsychologie - Was wir darunter verstehen

Kaum ein anderer Berufszweig unter den Tierberufen kann auf eine so lange und vor allem bewegte Geschichte mit so vielen Paradigmenwechseln zurückblicken wie die Tierpsychologie.

 

Der Name Psychologie geht zwar ursprünglich auf das griechische Wort ψυχή Psyche, oder auch Seele/Geist/Gemüt zurück, aber diese Begriffe sind als metaphysische und theologische Inhalte - entgegen vieler Meinungen - kein eigentlicher Gegenstand der modernen Psychologie.

Die Psychologie ist heute eine Wissenschaft vom Erleben und Verhalten. Selbst wenn hier das menschliche Erleben verstanden wird, ist es eine Wissenschaft, und eben diese ermöglicht uns den Zugang zur Erlebniswelt der Tiere.

Kompetenzen der Tierpsychologie

Tierpsychologie ist eine empirische Wissenschaft, die im Bereich der Kognitionswissenschaft, Verhaltenswissenschaft und neuroimmunologischen, biologischen Fächern anzusiedeln ist. Um empirisch korrekt zu arbeiten, führt auch kein Weg an Statistiken vorbei.

Tierpsychologie ist keine reine Naturwissenschaft, keine Tiermedizin, keine Philosophie, keine Geisteswissenschaft oder Biologie.

Das Studium der Tierpsychologie umfasst:

  • Erwerb von Grundlagen der Allgemeinen Ethologie, um einen wissenschaftlichen Einstieg in die Themen der Tierpsychologie zu erhalten
  • Erwerb von Kenntnissen der Speziellen Ethologie, um arttypisches Verhalten zu lernen und Referenzdaten zur tierpsychologischen Betrachtung eines Individuums zu erhalten
  • Erwerb von Kompetenzen, um bei Tieren bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. Lernfähigkeit, Lernstrategien, Begabungen, Spielverhalten, Reizbarkeit Verträglichkeit, Impulsivität usw. beurteilen zu können
  • Erlernen, Tiere nach den "Big Five-Kriterien" zu typisieren
  • Erfahren, wie Kognition, Motivation und Belohnungssysteme funktionieren, um Praxistransfer zu ermöglichen
  • Erfahrungen über soziales Verhalten und Beziehungsaufbau zum Tierhalter zu sammeln
  • Erwerb von Kompetenzen, um das Ausdrucksverhalten des Tieres, dessen Stimmung, Befindlichkeit und Stressbelastungen zu bestimmen
  • Selbständige und kritische Beurteilung wissenschaftlicher Studien bzw. tierverhaltens-biologisch orientierter Literatur
  • Kenntnisse über korrekte wissenschaftliche Arbeit zu erwerben, um  selbst wissenschaftliche Arbeiten im Bereich des Tierverhaltens durchführen zu können

Die Tierpsychologie beinhaltet zwar allgemeine psychologische Informationen, die bei allen Tieren gültig sind, vieles aber lässt sich nur an einer sehr gut erforschten Tierspezies plakativ demonstrieren. Nur dann wird Wissenstransfer auf alle anderen Tiere möglich. Zu den sehr gut erforschten Tieren gehören Hund, Katze und Pferd.

Das Konzept der Tierpsychologie

Die neue Ausrichtung der Tierpsychologie hat sich zu einer Wissenschaft entwickelt, die in weiten Teilen ähnliche Fächer beinhaltet wie die Humanpsychologie.

Tierpsychologie kann auf eine lange und durchaus bewegte Geschichte zurückblicken, die Eingang in die Wissenschaftsliteratur gefunden.

Dies hat dazu geführt, dass der Begriff der Tierpsychologie in vielfacher Hinsicht vorbelastet, zum Teil sogar negativ besetzt, an sich wenig griffig und aus heutiger Sicht in Teilen sogar irreführend ist.

Da sich die Tierpsychologie der Humanpsychologie immer mehr angenähert hat, interessieren sich auch zunehmend Humanpsychologen für diese Ausbildung.

 

Inhalte:

1. Allgemeine Tierpsychologie: Lernen, Denken, Verstehen, Handeln, Gedächtnis, Kognition, Wahrnehmung, Emotion, Motivation, Belohnung, Befindlichkeit ebenso wie die Fragen des Bewusstseins.

 

2. Psychobiologie: Dieser Bereich ist in unmittelbarem Kontakt zu und parallel mit der Humanpsychologie gewachsen. Ein großer Teil der Erkenntnisse in Bezug auf die Biologie ebenso wie auf die Pharmakologie wurde in der Humanpsychologie durch Tiermodelle in Experimenten gewonnen.

Psychophysiologie, das unter anderem auch Psychoneuroimmunologie, Psychoneuroendokrinologie sowie Nerven- und endokrines System speziell im Dienste der Emotionen, Kognition und Lernprozesse umfasst. Einen besonderen Schwerpunkt in diesem Bereich stellen die Stressmodelle und deren psychosomatische Auswirkung, inklusive der Messungen der psychologischen Verhaltenskorrelate dar.

 

3. Persönlichkeitspsychologie: Die frühe Tierpsychologie war ähnlich wie die Ethologie nicht primär am Individuum interessiert, sondern eher am Durchschnittsverhalten einer Tierart. Mit der Persönlichkeitspsychologie wird nun das Individuum in das Zentrum der Betrachtung gerückt. Mittlerweile ist dieses Themengebiet so gut erforscht und es wurde so viel publiziert, dass es hinreichend Material gibt, um sich auf ein Modell der Persönlichkeitspsychologie festzulegen.

 

4. Ausdrucksverhalten und Befindlichkeit: Das jeweilige Ausdrucksverhalten ist typisch für jede einzelne Spezies und muss im ethologischen Kontext als Kommunikationselement verstanden werden. Wenn noch vor nicht allzu langer Zeit jemand behauptet hätte, durch das Ausdrucksverhalten eines Tieres zuverlässig auf dessen Befindlichkeit schließen zu können, wäre er – im günstigsten Falle – belächelt worden.
Wie sehr sich hier die Paradigmen geändert haben und wie revolutionär, innovativ und mutig heute in der Forschung vorgegangen wird.

Man sollte hier erwähnen, dass, um die Befindlichkeit bei einem Tier zu erkennen, eine mehr als tiefgreifende Kenntnis des Ausdrucksverhaltens dieses Tieres Voraussetzung ist.
In der Präzision, in der heute das Ausdrucksverhalten der Tiere gelesen werden kann, wird deutlich, dass sogar subtile Emotionen bei Tieren verlässlich bestimmt werden können. Es konnte sogar verschiedentlich nachgewiesen werden, dass die reinen Beobachtungen des Ausdrucksverhaltens den laborgestützten Messungen der psychologischen Verhaltenskorrelate überlegen sind. Die Fähigkeit zur Beurteilung der Befindlichkeit ist für die Verhaltenstherapie unerlässlich, um zum einen die Erfolge der eingeleiteten Maßnahmen messen zu können und zum anderen auch die Mensch-Tier-Beziehung adäquat beurteilen zu können.

5. Allgemeine Verhaltensbiologie: Dieser Fachbereich ist in der Tierpsychologie im Gegensatz zur Humanpsychologie von zentraler Bedeutung.
Wir haben es bei unseren Haustieren mit domestizierten Tieren zu tun, die aus ihrer phylogenetisch bedingten ökologischen Nische, aus der sie über Jahrtausende hinweg selektiert wurden, entnommen und in die menschliche Obhut überführt wurden. Um die zu Grunde liegenden phylogenetisch bedingte Eigenschaften und psychologischen Strukturen der Tiere zu verstehen, bedarf es einer umfassenden Kenntnis der Verhaltensphysiologie ebenso wie der Verhaltensökologie.

6. Sozioökologie der Tier-Mensch-Beziehung: In diesem Themenbereich interessiert uns vorrangig die Auswirkung des Halters auf das Tier und der Blickwinkel des Tieres auf dieses Beziehungsgefüge.

Durch die mit der Domestikation einhergehenden Veränderungen und Zuchtmaßnahmen haben wir die Haustiere so geformt, dass sie immer besser zu uns und unserer Lebensumwelt passen und ihrerseits zu besonderen Anpassungen gerade in diesem Bereich fähig sind.
Der einzelne Halter mit seinem speziellen Tagesablauf, seinen Lebensbedingungen, Vorlieben, Bedürfnissen und Charakterzügen gestaltet und bestimmt die Lebensumwelt seines Haustieres heute nahezu vollständig. Nur wenn man die individuelle Mensch-Tier-Beziehung betrachtet, lassen sich bestimmte Lernleistungen, Adaptationsmuster oder auch Verhaltensauffälligkeiten und Störungen erkennen, erklären und therapieren.

Der Halter ist für unsere Haustiere der wichtigste Sozialpartner, der nicht nur das Leben des Tieres beeinflusst, sondern maßgeblich formt, gestaltet und beherrscht.

Fotos und Text: atn-ag